Dokumente der Vergangenheit: 
Artikel "Ihrer Zeit voraus. Die Neuberin (1697-1760) " aus der Zeitschrift 
"Im Blickpunkt der Berlinerin", Ausgabe Nr. 5, August 1986
   

Ihrer Zeit voraus. Die Neuberin (1697-1760)

Friederike Carolina Neuber (geb. am 9. März 1697 in Zwickau), "die Neuberin" genannt, gehörte als Schauspieldirektorin zu den bedeutendsten Reformerinnen des deutschen Theaters in der Zeit der Aufklärung.
1717 faßte die Advokatentochter den Entschluß, aus den unerträglichen Verhältnissen ihres Elternhauses zu entfliehen und zusammen mit ihrem Freund Johann Neuber einer Schauspieltruppe beizutreten. Dieser Schritt war für die damalige Zeit abenteuerlich und mutig, da die Schauspielerinnen den denkbar schlechtesten Ruf genossen und es deshalb kaum möglich war, in den Schoß der Familien zurückzukehren. Darüber hinaus war es schlecht um das deutsche Theater bestellt. Der deutsche Künstler galt im eigenen Lande nichts. Da es der "breiten Masse" an Bildung fehlte, hatten nur solche Stücke Erfolg, die mit derben Sprüchen und komischen Figuren das Publikum begeistern konnten. Grobianismus und zotige Hanswurstiaden machten sich auf der Bühne breit. Das deutsche Drama war noch nicht erfunden und damit fehlte das Theaterrepertoire, was den gehobenen Ansprüchen des aufkommenden Bildungsbürgertums gerecht werden konnte.
Die Neubers spielten in mehreren Truppen, vorwiegend in Sachsen und der Metropole Leipzig, und fanden eines Tages die Gelegenheit, durch den Tod ihres Prinzipals, sich selbst relativ früh an die Spitze einer Truppe zu stellen. Mit ihrer Entscheidung für das Schauspielerleben hatte "die Neuberin" ja bereits Initiative bewiesen. Nun nutzte sie ihre Position, um sich für eine Neuerung des deutschen Theaters zu engagieren. Dabei spielte eine große Rolle, daß sie in Leipzig mit Johann Christoph Gottsched zusammentraf, der als Dramatiker entscheidend dazu beigetragen hat, das deutsche Theater zu reformieren. Schon im 16. und 17. Jahrhundert konnten sich mit der Ausbildung des Handels- und Manufakturkapitalismus die bürgerlichen Emanzipationsbestrebungen ausbreiten, die dann in der Aufklärung im 18. jahrhundert ihren Höhepunkt fanden. Die Ideen der Aufklärung greifen die bürgerlichen Ansprüche und Interessen auf, gleichzeitig werden Traditionen und die feudalabsolutistischen Herrschaftsinteressen kritisiert. Gottsched bemüht sich, das veränderte Bewußtsein des Bürgertums auch im Theater darzustellen. Die Menschheit sollte sich mit Hilfe der neuen Ideale sittlich, moralisch, wirtschaftlich und kulturell zum besseren wandeln. das Theater hatte die Möglichkeit, über alle fürstlichen Landesgrenzen hinweg, die Ideen der Aufklärung zu verbreiten.
Schon seit einigen Jahren hatte Gottsched versucht, mehrere Schauspieldirektoren zu überreden, wieder Versdramen in das Programm aufzunehmen. Doch die Schauspieler hatten Mühe, den Text zu sprechen, außerdem wollte das klamaukgewöhnte Publikum nicht auf die Späße verzichten. Neben den zu befürchtenden finanziellen Einbußen war vorauszusehen, daß das Publikum die schwierigen Versdramen nicht verstehen würde. Mitdenken war plötzlich erforderlich, statt sich einem bloßen vergnügen hinzugeben. Noch viele Jahre später geschah es, daß Aufführungen nur deshalb wiederholt werden mußten, weil das Publikum nach nur einer Vorstellung die Zusammenhänge eines Werkes (besonders bei Shakespeare) nicht begriff.

Bei der Neuberin fand Gottsched Unterstützung. Weil es keine deutschen Dramen gab, wurden zunächst die französischen Dramen, hauptsächlich von Corneille und Racine, gespielt. Ihre Stücke erfüllten neben dem formalen Aufbau (Ort, Zeit, Handlung) eine entscheidende Forderungen der deutschen Frühaufklärung - sie gestalteten das Heroische, ihr Kernstück war ein "lehrreicher moralischer Satz". Schon 1730 hatte die Neubersche Truppe ein Repertoire aus acht französischen Stücken, die sie regelmäßig aufführten. Die Neuberin mußte zunächst unter großen Schwierigkeiten die harte Probenarbeit bei den Schauspielern durchsetzen. Sie erwiesen sich als ungeübt, lange Textstellen auswendig zu lernen. Die Konzentration auf das gesprochene Wort hatte zur Folge, daß die Darstellung in den Hintergrund rückte und aus dem Schauspiel oft eine bloße Deklamation wurde. Das Sprechen in Versen ermüdete außerdem die Zuschauer. Die Neubersche Truppe wäre sicher nicht vor dem Ruin bewahrt geblieben, hätte die Neuberin sich nicht gegen die strenge Auffassung Gottscheds gewandt, nur noch Dramen auf der Bühne zuzulassen und das Lustspiel ganz abzuschaffen. Sie bemühte sich hingegen, alle derben Auswüchse, Zoten und Anzüglichkeiten der komischen Figuren zu beseitigen und damit auch eine Reform des Lustspiels einzuleiten.
Wichtig für den Erfolg der Truppe waren die Qualität und die Zuverlässigkeit ihrer Schauspieler/innen sowie der gute Ruf, der ihnen vorauseilte.
Übersetzungen der Dramen wurden in gemeinsamer Arbeit verfaßt. Kostüme und Kulissen selbst angefertigt. Natürlich lagen solche Arbeitsverknüpfungen auch am dünnen Etat der Truppe.
Die materielle Lage war immer schwierig, aus diesen Gründen behielt Carolina Neuber auch  das "Wandern" bei
Außerdem sollte das Publikum auch über die Grenzen Sachsens hinaus von den Ideen der Aufklärung erfahren. So finden wir die Truppe zwischen 1734 und 1737 in Frankfurt a.M., Hannover, Straßburg, Lübeck, Kiel, Braunschweig und Hamburg.
Die Neuberin selbst gehörte zu den großen Schauspielerinnen ihrer Zeit. Die Darstellungskunst war von festgeschriebenen Posen und gebärden bestimmt. Mit ballettartigen Bewegungen und genau einzuhaltenden Gesten wurden die Gemütsverfassungen auf der Bühne - genau nach Vorschrift - ausgeführt.
Das Lob, diese Kunst vollständig zu beherrschen, wurde der Neuberin von allen Kritikern zugestanden.
Neben dieser Tätigkeit und ihrer Funktion als Theaterleiterin hatte sie auch begonnen, zu mehreren Stücken kleine Vorreden zu verfassen, in denen sie die gesellschaftliche Stellung der Frau kritisiert und sich bemüht, die Vorurteile beim Publikum gegenüber den Schauspielerinnen abzubauen. Dennoch, die Vorbehalte beim Bürgertum blieben und ließen die Schauspieler/innen manchmal verzweifeln. Aber es gab auch Lichtblicke: 1739 eroberte die Neuberin das Hamburger Opernhaus als Spielstätte. Die Oper galt als "gesellschaftsfähiger" Spielort und dieses Prädikat übertrug sich auch auf die Neubersche Truppe. Der erhoffte finanzielle Aufschwung bliebe jedoch aus - die Neuberin hatte nur ideell einen Sieg errungen.
Zu dieser Zeit vollzog sich der endgültige Bruch mit Gottsched. Die Neuberin erkannte, daß festgeschriebene Moralvorstellungen in den Stücken bald nur noch Langeweile erzeugen würden. Es galt darüber hinaus, an der Vollendung des bürgerlichen Dramas zu arbeiten. Die Neuberin hielt Kontakt zu jungen Schriftstellern, und so debütierten bei ihr der junge Lessing, Gellert und Christian Felix Weiße mit einigen Werken.
1740 folgte die Neuberin einer Einladung der russischen Zarin Katharina II. nach Sankt Petersburg. Der zunächst große Erfolg wurde durch den Tod der Monarchin jäh beendet. Nur mit Mühe konnte die Neuberin das restliche Honorar einklagen und mit ihrer Truppe unbeschadet in die Heimat zurückkehren.
Dort wartete allerdings eine weitere Ernüchterung auf sie. Ihre einstigen Spielstätten waren längst in den Händen anderer Kompanien. Die Lage der Truppe war denkbar schlecht; nur in kleinen Orten konnte sie auftreten, bis sie sich 1748 endgültig auflöste. Das Ehepaar Neuber siedelte nach Dresden über. Johann Neuber, der stets im Schatten seiner Frau gestanden hatte, starb 1759. Ein Jahr später starb auch Friederike verarmt in Lauchstädt. Aufgrund der ewigen Vorbehalte der "ehrbaren" Bürger gegenüber der "lasterhaften" Schauspielerin wurde es nicht gestattet, den Sarg durch das Tor auf den Friedhof zu tragen. Freunde der Toten mußten ihn über die Mauer heben und in einem Winkel des Friedhofs verscharren. Später versuchten die Bürger, diese Schande wieder auszulöschen und errichteten einen Gedenkstein.

Die verdienste der Neuberin bleiben unbestritten: Sie öffnete ihre Bühne den neuen Gedanken der Aufklärung. Die Darsteller wurden zur Texttreue erzogen. Sie kämpfte darum, den Frauen und den Schauspieler/innen als Berufsstand zu Ansehen zu verhelfen. Sie engagierte sich dafür, das Theater zu reformieren und eine Bühne zu schaffen, die als Vorbild dienen konnte. Damit trug sie zur Entwicklung des deutschen Nationaltheaters entscheidend bei.

  

Autorin: Claudia
Ausgegraben von Oda Bianker

(Redaktion Frauenjournal)