Hat der Feminismus heute noch eine Chance?

Wir - wir sind Frauen um die vierzig und haben noch die letzten aktiven Jahre der Frauenbewegung mit Demonstrationen, Flugblätteraktionen und allerhand Veranstaltungen mitgetragen und miterlebt, bevor die Friedenssicherung und die ökologischen Probleme zu weiteren Themen bürgerrechtlichen Protests führten. Fast lautlos versanken die spezifisch weiblichen Anliegen in den Forderungskatalogen nach mehr Menschlichkeit, atomwaffenfreien Zonen und sauberer Luft. Zugegeben, diese Themen gingen alle Menschen an, ob groß oder klein, Mann oder Frau. Die grüne Bewegung bewahrte dennoch den Entschluss nach mehr weiblichen Führungskräften innerhalb ihrer Partei.

Doch wo stehen wir heute und was hat die Frauenbewegung erreicht?

Das Fazit mutet skurril an: Frauen dürfen Baggerfahrerinnen werden - doch wehe, wenn sich eine Schönheit wie Claudia Schiffer auf eine Baustelle verirrte! Und Frauen dürfen nun auch zur Bundeswehr - so richtig mit Nahkampf und Muskete, nicht bloß als Sanitäterinnen! Und das, obwohl sich Frauen immer mehr für Frieden und Gewaltfreiheit eingesetzt haben! Wir Frauen haben es jedenfalls geschafft, in die Hochburgen männlicher Berufsfelder einzubrechen. Doch war das unser Anliegen?

Die jammervolle Realität sei ganz gegen den Tenor dieses Artikels  ins Gedächtnis gerufen: es gibt nach wie vor keine politische Frauenzeitung in Deutschland, Frauen werden immer noch viel schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen, Frauen müssen mit der Doppelbelastung von Beruf, Haushalt und Familie fertig werden. Anmache und üble sexuelle Übergriffe bis hin zu Gewalt und Vergewaltigung haben sogar zugenommen. In den speziell für Frauen produzierten Informationsangeboten stehen andere Themen im Vordergrund.

Fast kein Magazin in Fernsehen, in den Printmedien oder wie hier im Internet entgeht der Versuchung, mit den üblichen Themen: Mode, Kosmetik, Diäten und Reisen, das weibliche Publikum zu unterhalten - so auch das unsrige nicht. Denn das sind die Bereiche, die Frauen nach wie vor interessieren. Dies ist auch nicht so oberflächlich wie es auf den ersten Blick anmutet. Wer hübsch aussehend, gut angezogen und mit sportlicher Figur unterwegs sein will, möchte positiv auf andere wirken. Kommunikationsfähigkeit und Offenheit, auf andere Menschen zugehen, Gefühle ausdrücken, soziales Miteinander sind die Ziele von Aktionen, die scheinbar nur der Optimierung äußerer Merkmale dienen. Diese soziale Kompetenz ist für Frauen sehr wichtig und damit können und werden sie auch in den kommenden Jahren mehr und mehr erreichen.

Woran erinnern wir uns heute noch bei der Frauenbewegung?
Der Chauvinismus ist rein verbal geächtet - nur noch dumme Männer wagen in der Öffentlichkeit ebenso dumme Bemerkungen über Frauen. Doch was denken sie wirklich? Die diskriminierenden Verhaltensmuster haben tiefere Wurzeln und wurden auch durch die feministische Bewegung nicht beseitigt.

Die ersten Jahre des erwachsenen neuen weiblichen Selbstbewusstseins wurden mit Jammerkatalogen vertan. Es wurde aufgezählt und aufgelistet, in welchen Bereichen Frauen Benachteiligungen erfahren. Allein beim Lesen dieser gesammelten menschlichen Ungerechtigkeiten, überkam Frau ein deprimierendes Gefühl. Wir Frauen waren soooo tief unten. Angela Davis, schwarze kommunistische Frauenrechtlerin in den USA, brachte es anlässlich einer ihrer Reden auf den Punkt: "Woman is the nigger of the world". Es vergingen Jahre mit der Deklamation männlich, gesellschaftlicher Gemeinheiten gegenüber dem unterdrückten weiblichen Geschlecht. Forderungen wurden aufgestellt, gedruckt, verkündet, gelesen - und ......

nicht sonderlich beachtet! "Die Männer" (die Autorin weiß, dass diese Verallgemeinerung eigentlich unzulässig ist!) bekamen ein bisschen Angst, blieben aber ansonsten biertrinkend und sich jeglicher Mitarbeit im Haushalt entziehend auf dem bequemen heimischen Sofa hocken. Und wen wundert es wirklich? Wenn ich als Individuum einem anderen Menschen, besonders einem männlichen Wesen meine Enttäuschungen, Probleme, Verletzbarkeiten unterbreite, habe ich es noch nie erlebt, dass mein Gegenüber zerknirscht und voller Reue eingestand, er werde künftig alles daran setzen, mir keinerlei Kummer mehr zu bereiten. So funktioniert das menschliche Miteinander eben nicht. Hat frau erst einmal den Finger auf die Wunde gelegt, bietet sie genau dort eine gute Angriffsfläche. Auch für das eigene Selbstwertgefühl ist es eher hinderlich, alle Bereiche aufzuführen, in denen frau Benachteiligungen erdulden muss. Im Bewusstsein eines Sammelsuriums der Defizite lebt es sich recht traurig.

Dies ist wohl der Hauptgrund, warum sich junge Frauen und auch unsere Alternsgruppe kaum noch an eine feministische Diskussion wagt. Erfolgreiche Frauen haben oft das männliche Konzept für sich übernommen und boxen sich auch erfolgreich durch. Sie haben nur ein müdes Lächeln für Unterdrückungsgerede und Opferstatus übrig.

Der Kampf Mann gegen Frau erscheint aussichtslos - denn das müssen wir "den Männern" (siehe oben) schon lassen, kämpfen können sie ganz gut. Sie tun es immerhin schon mehrere tausend Jahre ziemlich "erfolgreich", da sie ihre "gefährlich weich machenden" Gefühle zur Not immer gut ausblenden können. Das kennen alle Frauen auch aus Beziehungskämpfen - Männer bleiben oft die strategischen Sieger, selbst wenn das zum Ende der Beziehung führt und zumeist "die Männer" (s.o.) damit seelisch viel schlechter zurechtkommen. Der männliche Sieg ist nur äußerlich - rein menschlich wird er zur Niederlage. Ein Grund mehr auch "den Männern" da endlich raus zu helfen und mit Ihnen gemeinsam nach neuen Konzepten zu suchen.

Was sind heute die Ziele einer - wenn nicht feministischen - warum dann nicht "weiblich" genannten "Bewegung"?

Auch wenn diese "Übersetzung" keinen Unterschied in der eigentlichen Bedeutung erkennen lässt, so dürfte der Klang ein anderer sein. Für die Frauen geht es darum, die Gesellschaft langsam zu verändern zusammen mit den viel gescholtenen Männern und nicht gezielt und mit offenem Geheul gegen diese anzuarbeiten. Mit den uns reichlich gegebenen positiven weiblichen Qualitäten und Tugenden, die in der feministischen Diskussion immer viel zu kurz gekommen sind, schaffen wir neue gesellschaftliche Werte wie Kommunikationsbereitschaft, Flexibilität, freundliches und soziales Miteinander und arbeiten somit auch effektiver und mit mehr Teamgeist zusammen. Dieser Vorteil wirkt sich besonders bei den neuen Medien positiv aus.

So möchten wir alle Frauen jeglichen Alters, unabhängig von Beruf, Arbeitslosigkeit, Ausbildung, Familienstatus, Staatsangehörigkeit, religiösen Anschauungen, Ansehen und politischer Einstellung (außer: auch wir bekennen uns gegen RECHTS und NEONAZIS) sowie "die Männer" einladen, bei uns mitzumachen!

So bietet das Frauenjournal allen Leserinnen und unvoreingenommenen Lesern, die Möglichkeit, ihre Anliegen in unserer Internetzeitschrift kostenlos zu publizieren. Senden Sie uns Ihre Kommentare, Artikel, Hinweise und Tipps!

Wir freuen uns auf ihre Beiträge, Kontroversen und Anregungen!

Clia Weinberger
(Redaktion Frauenjournal)

 

LESERINNENBRIEFE

Sehr geehrte Frau Weinberger,

in den nächsten Tagen werde ich an der Steuerberaterprüfung 2000 teilnehmen und habe Ihren Website mehr oder weniger zufällig entdeckt. Eigentlich wollte ich gerade die neuen Pressemitteilungen des Bundesfinanzministeriums lesen.

Trotz Zeitmangel bin ich bei "...frauenjournal..." hängen geblieben. Mir ist es schon seit eh und je aufgefallen, dass Frauen in jeder Hinsicht sehr einseitig "beleuchtet" werden; sei es familiär, beruflich oder politisch. Familiär wird immer traditionell die Frauen als Mutter, die mit Nebenjob zum Haushaltsgeld beitragen, dargestellt. Beruflich sind sie entweder die, die kämpfen müssen und trotzdem weniger verdienen oder sich ständig beweisen müssen. Politisch sind sie irgendwie, wie auch im normalen Leben zwar die besseren jedoch die zahlenmäßig unterlegenen. Und wenn sie außerhalb des den Frauen zuzuordnenden Bereichs beschrieben werden, dann kann es sein, dass sie die Männer nachmachen oder nacheifern oder einfach maskulin geworden sind. Ich halte das nicht für unbedingt emanzipiert.

Emanzipation sollte eigentlich die Frauen unterstützen, unsere Umwelt (familiär, beruflich, politisch etc.) im Alltag so mitzugestalten, wie sie als Mensch diese Umwelt gestalten. Es ist doch unabhängig vom Geschlecht. Es irritiert mich immer wieder, wenn in den Medien, Talkshows oder Veranstaltungen die Beiträge der Frauen, wie eine ausserirdische Aktion angesehen oder angehört werden. Ja, ja es ist alles sehr beeindruckend und vor allem interessant.

Frauen sollten einfach Menschen sein. Sie sollen mit Ihren Fähigkeiten, Gefühlen, Ideen und menschlichen Instinkten mitgestalten und vor allen Dingen sich durchsetzen. Dass Männer und selbst einige Frauen so schubladenmäßig denken, erlebe ich tagtäglich. Das ist ärgerlich. Sowohl Männer als auch Frauen, die daran interessiert sind, dass es sich daran etwas ändert, müssen ihren Alltag einfach so leben, dass wir alle Menschen mit Schwächen und Stärken haben, Das ist ganz bestimmt geschlechtsneutral. Die Veränderung findet im Alltag statt.

Mit freundlichem Gruß
Leah Hilario-Sikorski

P.S.

Meine Wahl des Doppelnamen wurde mir als "Emanzenzeichen" unterstellt. Allerdings nur von denen, die mich nicht kennen. Das hat ganz und gar nicht damit zu tun. Das hängt lediglich mit meiner Herkunft und Beruf zusammen. Das Wort "Emanze" hat einen sehr negativen Beigeschmack.